Kolumne

Wege aus der Schuldenkrise (II)

Der Schuldenschnitt

Der radikalste Weg ist der sog. Schuldenschnitt, bei dem sich von einem auf den anderen Tag die Kredite der Schuldner und die Vermögen der Gläubiger um den gleichen Betrag reduzieren. Dies träfe vor allem die Inhaber größerer Staatsanleihen-Pakete – also u.a. Banken und Versicherungen. Hiervon wäre der normale Sparer insofern betroffen, als Lebensversicherungen oder ähnliche Anlageprodukte für die Altersvorsorge ebenfalls an Wert verlieren würden. Neben privaten Vermögen, die Staatsanleihen in ihrem Depot haben, würde es jedoch am stärksten Banken treffen. Die damit einhergehenden Verluste würden das ohnehin spärliche Eigenkapital auffressen. Bankenpleiten wären wahrscheinlich die Folge – und damit verbunden natürlich auch die Notwendigkeit einer erneuten Bankenrettung. Wenn man es diesmal allerdings richtig macht (nämlich Kapitalisierung der Banken in Form echten Eigenkapitals und damit voraussichtlich Anteilsmehrheit des Staates; siehe Schweden in den 90er Jahren), bietet diese „Katastrophe“ aber auch eine Chance. Man könnte nämlich mögliche politische Ziele der Bankenregulierung (z.B. Maßnahmen gegen das „too big too fail“ oder Begrenzung des Derivatemarkts bis hin zum Verbot von Geldwetten ohne realwirtschaftlichen Bezug) als Eigentümer leichter steuern und umsetzen.

Diese Variante könnte jedoch unser heutiges Finanzsystem zusätzlich dadurch erschüttern, dass bei einem Schuldenausfall (im Gegensatz zum „freiwilligen“ Schuldenverzicht im Falle Griechenlands) die im letzten Jahrzehnt auch auf Staatsanleihen immer zahlreicher gewordenen Kreditausfallversicherungen (sog. CDS) fällig werden würden. Da dieser Markt bis heute nicht transparent geregelt wurde, weiß niemand, wer in welcher Höhe dadurch Ausfälle zu erleiden hätte. Allein das Volumen der gehandelten CDS lässt jedoch darauf schließen, dass Massenpleiten von größeren Finanzmarkt-Teilnehmern die Folge wären(insb. Banken und deren Zweckgesellschaften sowie Hedgefonds). Die Angst vor dem damit einhergehenden Dominoeffekt erklärt auch, warum bisher auf die Freiwilligkeit des Schuldenverzichts so großer Wert gelegt wurde.

Höhere Einkommens- und Vermögensabgaben

Einmalige Vermögensabgaben in nennenswerter Höhe eignen sich ebenfalls zu einer kurzfristigen Schuldentilgung. Diese würden sich allerdings vornehmlich wohl auf immobile Sachwerte beziehen, da die meisten anderen Vermögenswerte leicht zu transferieren sind und eine global einheitliche Vorgehensweise illusorisch erscheint. Hiermit träfe man also eher die Eigentümer von Immobilien und Betriebsvermögen, die nicht identisch sein müssen (und wahrscheinlich auch nicht sind) mit den Besitzern der großen Geldvermögen – also den Staaten-Gläubigern.

Eine langsamere Variante ist die jährliche Besteuerung größerer Vermögen und Einkommen. Die Dauer der hierdurch möglichen Schuldentilgung richtet sich nach der Höhe der zusätzlichen Besteuerung. Je höher diese allerdings ausfällt, desto größer ist das Risiko von Vermögenstransfers und/oder der Verlagerung von Wirtschaftsbetrieben. Da sich auch bei dieser Maßnahme ein international koordiniertes Vorgehen nur schwer vorstellen lässt, muss jeder Staat, der sich für diesen Weg entscheidet, Wettbewerbsnachteile befürchten, die dann wieder unmittelbar das Steueraufkommen sinken lassen. Dies ist der Preis des Kampfs um Wirtschaftswachstum zwischen den einzelnen Nationen, der auch Teil unseres globalisierten Wirtschaftssystems ist.

Bei diesem Modell ist jedoch wichtig, dass die daraus resultierenden Staatseinnahmen ausschließlich zur Schuldentilgung – also zur Reduzierung der Geldmenge – genutzt werden dürfen. Fließen sie in den Wirtschaftskreislauf zurück(z.B. als „soziale Wohltaten“), wirken sie dort inflationstreibend.

Inflation

Die langsamste Variante der Schuldentilgung ist die Inflation. Sie greift am schleichendsten in die aktuellen Finanz- und Wirtschaftskreisläufe ein. Es ist nahe liegend, dass dies die von der Politik bevorzugte Lösung ist, da ihre Folgen von den heutigen Entscheidungsträgern nicht mehr zu verantworten sein werden. Inflation verlagert die Probleme in die (vielleicht schon nähere) Zukunft und entspricht damit genau dem politischen Handeln, das zu Verschuldung statt Verzicht und zum rücksichtslosen Verbrauch begrenzter Ressourcen geführt hat.

Inflation reduziert die Kaufkraft von Geldvermögen, so dass diejenigen davon am wenigsten betroffen sind, die Sachwerte besitzen (u.a. Immobilien, Aktien und Rohstoffe wie z.B. Gold) —“ also durch andere Werte aus dem Geldsystem ausgestiegen sind. Demgegenüber verlieren alle Sparguthaben sowie alle Geldversprechen für die Zukunft (z.B. Lebensversicherungen und Renten) an Wert. Da eine steigende Anzahl von Menschen nur noch begrenzte Mittel hat, die sie in Sachvermögen investieren kann, ist Inflation die größte Armutsfalle der Zukunft. Durch den Kaufkraftverlust kann u.a. der Mittelstand immer weniger zum Wirtschaftswachstum beitragen, so dass auch er zunehmend verarmt. Sie schützt also insbesondere die Vermögen, die am leichtesten und schnellsten transferierbar sind (in Sachwerte, andere Währungen o.ä.).

Zusammenfassende Beurteilung

Zunächst einmal zeigen alle diese Überlegungen, dass es keine schmerzfreie Lösung mehr gibt. Die Frage ist jedoch, wann und bei wem die Schmerzen auftreten sollen. Versucht man diejenigen zur Lösung der Schuldenkrise heranzuziehen, die sie mit verursacht und am meisten davon profitiert haben, ist die Gefahr eines Zusammenbruchs unseres heutigen Finanz- und Geldsystems und damit wohl auch unseres Wirtschaftssystems am größten. Versucht man die Nutznießer dieses Systems möglichst zu schonen, um das System nicht zu gefährden, werden weiterhin diejenigen die Lasten tragen, die davon am unmittelbarsten in ihrem eigenen Lebensstandard betroffen sind.

Jeder der aufgezeigten Wege kann früher oder später zu einem Systemcrash führen, schon allein weil nicht klar ist, ob sich dieser überhaupt noch verhindern lässt. In der heutigen Zeit der Dauer-Krisengipfel muss die Frage erlaubt sein, ob diejenigen, die auf dem Standpunkt stehen, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, dieses Geldsystem noch zu retten, da der „point of no return“ bereits überschritten ist, allesamt unreflektierte Anhänger eines Weltuntergangsszenarios sind?

Der Schuldenschnitt beinhaltet sicherlich das größte Risiko, sehr schnell einen Systemcrash herbeizuführen. Er entspricht damit am ehesten der Forderung nach einem „lieber ein Ende mit Schrecken als einem Schrecken ohne Ende“. Da die Inflationsvariante jedoch letztlich zu einer weiteren Bedürftigkeit der Menschen am Existenzminimum führt, könnten hier bürgerkriegsähnliche Zustände verbunden mit dem Ruf nach „dem starken Mann“ die Folge sein. Ist das die bessere Alternative?

Jede Form der höheren Besteuerung bis hin zur Teilenteignung der vermögendsten Bevölkerungsschicht hat voraussichtlich die wenigsten systemgefährdenden Elemente. Sie ist aber nach heutigem Stand wohl auch die Unwahrscheinlichste der Varianten. Da der Wettkampf der Staaten um Vermögen und Unternehmen wohl auch weiterhin im Wesentlichen über Steuerwohltaten geführt werden wird und es bereits weltweite Umverteilungskämpfe um Realvermögen gibt, sehe ich keine Regierung, die diesen Weg wagen würde.

Da diese Überlegungen das Inflationsszenario am wahrscheinlichsten erscheinen lassen, sollen die folgenden Ausführungen den Spielraum beleuchten, den es bei der Ausgestaltung gibt.

[Autor: Himar Benecke]

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