Ein Gastbeitrag vom 10. Dezember 2013 von Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin, Datenschützerin und ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Deutschland.
“Dass alles überwacht wird ist doch keine Nachricht”, meint ein Freund, nennen wir ihn Paul*, und irgendwie hat er auch Recht. Nach monatelangem Enthüllungsmarathon weicht die Empörung langsam einem großen Nichts. “Zu wissen, was nicht überwacht wird wäre mal eine echte Nachricht,” sagt er und lässt sich auf die Couch fallen. Seine Wut wirkt kalt und abgestanden. Mit seinem ewig gleichen Stoßseufzer beendet er den Gedanken: “Die machen doch eh was sie wollen”. Irgendwann wird Empörung zu Resignation.
Ludwig Greven schrieb im Sommer in der FAZ: “Wer heute unbeobachtet bleiben möchte, sollte vielleicht nicht im Internet miteinander reden.” Für mich ist das nicht praxisnah. Wir reden von einer Welt in der das Smartphone zu Peilsender und Wanze umfunktioniert wird. Sein Smartphone lässt Paul nun oft zu hause, sagt er. Manchmal beobachte ich ihn dabei, wie er den Akku raus nimmt, wenn wir über Politik reden. Vor einigen Jahren sagte Paul noch zu mir, ich sei paranoid, weil ich Mails verschlüssel. Zeiten ändern sich. Wir reden seit neuestem beim Kaffee viel zu viel über Technik: Die neuesten Hacks der NSA, die neuesten abgegriffenen Daten, die neuesten kompromittierten Codes. Aber eigentlich sollten wir über unser kompromittiertes Verständnis von Freiheit sprechen und über gehackte Gesetze. Aber es scheint irgendwie realistischer zu sein, über Software zu diskutieren, die etwas fixen kann als darüber, warum Menschen sehenden Auges darauf hinbauen, langsam eine Misstrauensgesellschaft um uns herum zu konstruieren. Stück für Stück für Stück.
Ein Miteinander auf Augenhöhe setzt ein Mindestmaß an Vertrauen und Respekt vorraus. Jeder zwischenmenschlichen Beziehung, die von uns metergenaue Standortprofile und Kommunikationsprotokolle abverlangt, würden wir eine psychische Störung attestieren. Und sie beenden. In unserer Beziehung zum Staat befinden wir uns längst nicht mehr auf Augenhöhe. Der Beschluss, nun mitten im grössten bekannten Überwachungsskandal auch noch die Vorratsdatenspeicherung umzusetzen, offenbart eine obszöne Doppelmoral. Und komplette Schamlosigkeit. Wir haben es mit Parteien zu tun, die ihre Nebeneinkünfte nicht offen legen und nun wissen wollen wann wir mit Journalisten, Anwälten, Freunden und Geliebten telefonieren. Inclusive Standortdaten. Aber dem Staat können wir im Gegensatz zu paranoiden Ex-Freunden nicht einfach den Rücken zudrehen.
Paul war nie politisch aktiv und umso beängstigender ist es für mich seit Neuestem sein verändertes Verhalten zu beobachten. Natürlich habe ich ihm erklärt, wie er seine Mails verschlüsseln kann. Und einen alternativen Maildienst empfohlen. In der Zeitung hat er von Listen mit tausenden von Schlagwörtern gelesen, nach denen deutsche Geheimdienste Mails rastern. Selbst wenn er ins Raster fallen würde, würde er es ebenso wie ich, nie erfahren. Das ist das Unheimliche am Status Quo. Ein bisschen wie Radioaktivität. Man riecht nichts man schmeckt nichts und plötzlich druckst Paul am Telefon herum. Überwachung erzieht uns zu angepassten Konformisten und nicht zu Dichtern und Denkern. Denn wer will schon noch auffallen, wenn man weder Kriterien noch Konsequenzen absehen kann?
Ich habe nicht das Gefühl, dass Paul sich jetzt sicherer fühlt, nun da er weiß, dass alle möglichen Dinge die er jahrelang gerne genutzt, hat eine Geheimdienst-Hintertür hatten. Hätte er das gewusst, hätte er einige Dinge nicht geschrieben, nicht geklickt, sagt er. Hier geht es längst nicht mehr um Sicherheit. Hier geht es um Kontrolle. Sicherheit geht nur in Freiheit, wenn Gesetze uns auch vor Übergriffen des Staates schützen. Im Zuge des “Krieges gegen den Terror” werden die Freiheiten abgeschafft, die doch eigentlich verteidigt werden sollten. Tatsächlich bewegen wir uns damit auf eine unfreie, unsichere Gesellschaft zu. Wer ein Supergrundrecht auf Sicherheit postuliert, spart die Sicherheit des Einzelnen vor Machtmissbrauch des Staates bewusst aus. Vor einiger Zeit sprachen wir beim Kaffee darüber, dass Geheimdienste sogar Datenbanken mit der Porno-Nutzung von Zielpersonen füllen, um sie bei Bedarf diskreditieren zu können. Hoffentlich bin ich nicht interessant genug, sagt Paul und lacht. Aber es wirkt nicht so, als ob er tatsächlich amused wäre. Und ich denke darüber nach, was das eigentlich für eine Gesellschaft bedeutet, wenn in Zukunft jeder, der sich etwas weiter mit dem Kopf raus wagen will, sich solche Gedanken macht.
Große Datensammlungen wecken Begehrlichkeiten. Und die Zweckentfremdung von Datensammlungen zur Terrorbekämpfung zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte. In Polen wurden 2011 rund 1,8 Millionen Vorratsdaten durch Behörden abgefragt, erzähle ich Paul bei einem Kaffee nach meinem Urlaub. Diese Zahlen belegen, dass es bei der Vorratsdatenspeicherung keineswegs um Terrorismus geht. Auch in Deutschland werden Terrorgesetze zweckentfremdet. 2013 wurden durch deutsche Behörden rund 100.000 Abfragen von privaten Bankkonten durchgeführt. Die gesetzliche Grundlage wurde seinerzeit mit Terrorabwehr begründet. Doch welche Terrorgefahr geht von Bürgern aus, die Sozialleistungen beziehen? Und wie zur Hölle ist das Jobcenter plötzlich zu einer der zentralen Behörden für die Umsetzung von Antiterrorgesetzen geworden?
Ich denke seit neuestem darüber nach, bevor ich Pauls neues Interesse an meinem Dauerthema füttere. Beispielsweise, ob ich von Funkzellenabfragen bei Demos erzählen soll. Vielleicht bringt ihn das nun davon ab, auf eine zu gehen. Ich erzähle es trotzdem und sage, dass er gerade darum gehen sollte. Aber was für eine Gesellschaft ist das eigentlich, in der man sein Handy zu Hause lässt, wenn man Demokratie leben will? Es geht nicht darum, ob wir dem Staat oder Unternehmen vertrauen, sondern darum, ob eine Gesellschaft, die uns systematisch misstraut und als lebenden Risikofaktor bewertet, noch frei ist. Unschuldsvermutung, anyone?
Überwachung ist ein Instrument der Kontrolle. Es ist eine Machtdemonstration. Und als ich Paul frage, was sein maßgebliches Gefühl ist, wenn er Nachrichten schaut, ist es dieses: Ohnmacht. Ich schaue auf den Couchtisch wo sein Handy ohne Akku liegt. Im Zimmer sind kaum Möbel, dafür ein großer Bildschirm mit Webcam, zwei Rechner. Eine Festplatte. Ein beträchtlicher Teil von Pauls Wohnung ist digital. Vater Staat versetzt uns durch seinen Anspruch auf einen Zweitschlüssel zu allem Digitalen im Informationszeitalter wieder in den Status unmündiger Kinder. Heute reden wir beim Kaffee über die neuesten Geheimdienst-Enthüllungen: Überwachte Online-Spiele. In Pauls Regal stehen unzähliche XBox und PS-Games zusammen mit einigen versprengten Büchern. Das meiste liest Paul digital. Selbst dieser Rückzugsort ist nun keiner mehr. Wenn ich ihn so anschaue wirkt er irgendwie eingesperrt.
Die NSA verkündet stellvertretend für alle außer Kontrolle geratenen Geheimdienste dieser Welt nun in internen Papieren den Anbruch eines neuen “Goldenen Zeitalter der Überwachung“. Als wir aufwuchsen und uns das erste Handy zulegten, Nächte mit LAN-Parties verbrachten und aus alten Rechnern neue zusammenkratzten, da lag vor uns eine epische Zukunft in der vernetzten Gesellschaft. Unser Goldenes Zeitalter, das wir damals vor Augen hatten versprach uns mehr Selbstbestimmung. Nicht den totalen Fremdzugriff. In Pauls Schrank steht neben Metal Gear Solid 2 auch Immanuel Kant. Der neue Daten-Determinismus braucht eine Gegenbewegung. Wir haben zu lange Kaffee getrunken und daran geglaubt, dass Jemand(TM) es schon richten wird, sagt Paul. Nur wenn wir den Aufbruch aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit wagen, können wir uns unseren Traum von unserer Zukunft zurückholen. Wir können natürlich auch weiter Kaffee trinken und uns daran gewöhnen, den Akku rauszunehmen, wenn wirs privat haben wollen. Aber mal ehrlich: Das ist doch kein Zustand für eine Gesellschaft. Das ist krank.
* Name geändert
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weiter Kaffee trinken…”