Kolumne Sozialpolitik Startseite Topthema

Eine Lanze für das BGE – ein Kommentar von Maja Tiegs.

Foto: stanjourdan, France [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons
Foto: stanjourdan, France [CC-BY-SA-2.0], via Wikimedia Commons

Der Begriff ‚Arbeit‘ ist kaputt. Zumindest wenn man sich ansieht, was er heutzutage bedeutet. Arbeit zu haben bedeutet, dass man einen Job hat, mit dem man Geld verdient. Wer das nicht hat, der arbeitet nicht. Der ist arbeitslos.

Arbeitsbegriff ist staatlich gefördert

Wir leben heute in einer Gesellschaft, die geprägt ist vom Fortschritt der Technologie. Viele Arbeiten werden von Maschinen oder Computern übernommen, welche präziser und effizienter sind als Menschen. Diese erstmal neutrale Entwicklung und der damit verbundene Wegfall von Arbeitsplätzen wird in den allermeisten Fällen negativ gewertet, was die Absurdität des vorherrschenden Arbeitsbegriffes gut zeigt. Einerseits wird der technologische Fortschritt natürlich vorangetrieben, andererseits gilt jemand ohne bezahlten Arbeitsplatz noch immer als Versager, um nicht zu sagen: Drückeberger. Dies führt nicht zuletzt zu einer (unnötigen) Technologiefeindlichkeit, weil Technologie zu einem übermächtigen Gegner wird, gegen den man nicht bestehen kann. Dieser Arbeitsbegriff ist dazu staatlich gefördert.

Pflege ist keine Arbeit

Hier gibt es zwei Ebenen. Niemand wird bestreiten, dass Kindererziehung ein Haufen Arbeit und Verantwortung ist. Und dennoch sind Eltern gezwungen, die Zeit, in der sie für die Kindererziehung aus dem Job aussteigen, so gering wie möglich zu halten, um beispielsweise Altersarmut vorzubeugen. Meine Mutter beispielsweise hat 4 Kinder gekriegt und großgezogen und ist deshalb gut 15 Jahre keiner bezahlten Arbeit nachgegangen. Sie hat ja in der Zeit nicht auf der faulen Haut gelegen oder so. Nein, sie hat 4 Kinder zu selbst denkenden, individualistischen, politischen Menschen erzogen. Das ist eine größere Lebensleistung als so mancher Manager hinkriegt, wenn man mich fragt. Allerdings fragt man mich nicht, und so wird meine Mutter später mal eine winzige Rente bekommen und am Rande des Existenzminimums leben, weil sie eben 15 Jahre nicht in die Rentenkasse eingezahlt hat. Hätte sie darauf verzichtet, Kinder zu kriegen und 15 Jahre in einem gut bezahlten Job gearbeitet, dann sähe das ganz anders aus. Aber in den Augen des Staates hat sie nicht gearbeitet, weil sie kein Geld erwirtschaftet hat. Und wird deshalb im Alter arm sein. Dies gilt natürlich nicht nur für Menschen, die Kinder erziehen, sondern auch für Menschen, die beispielsweise ihre Angehörige pflegen, etc.

Ehrenamtliche Arbeit wird nicht honoriert

Ebenso wenig wird ehrenamtliche Arbeit in Vereinen, sozialen Einrichtungen und ähnlichen Stellen honoriert. Für viele von diesen Menschen kommt – abgesehen von der Aussicht auf Altersarmut – noch eine zweite Ebene hinzu. Und das ist der Fall, wenn eben nicht ein Ehepartner da ist, der für den Lebensunterhalt aufkommen kann. Dann nämlich, wenn der Mensch, der Kinder erzieht, Angehörige pflegt oder vielleicht durch Krankheit nicht in der Lage ist, einer bezahlten Arbeit nachzugehen und auf Arbeitslosengeld II – bekannt als HartzIV – angewiesen ist.

Schon allein die Bezeichnung ‚Arbeitslosengeld II‘ ist irreführend, weil es impliziert, dass der Empfänger dieser Transfairleistung nicht arbeitet, nichts leistet und demnach dank unseres Arbeitsbegriffes ein Mensch zweiter Klasse ist. Dabei arbeiten viele Menschen, die auf ALG2 angewiesen sind, ja wie oben beschrieben, durchaus wichtige Dinge. Aber als „Strafe“ werden ihnen jegliche Ersparnisse und damit jegliche Möglichkeit sozialer Absicherung genommen. Das heißt: Jemandem, der weiß, dass er später eine winzige Rente bekommen wird, wird auch noch die Möglichkeit genommen, sich Geld zurückzulegen oder privat vorzusorgen.
Die Rente ist Kicher.

Hartz 4 ist demütigend

Darüber hinaus sind ‚die HartzIV Empfänger‘ heute einem erheblichen gesellschaftlichen Stigma ausgesetzt, nicht zuletzt durch entsprechende Berichterstattung in den Medien, die sie als faul und geldgeil brandmarken. Dabei geht unter Garantie niemand gerne zum Amt, um dort seine gesamten persönlichen Verhältnisse aufzudecken und sich vor dem Staat komplett auszuziehen. Ich weiß aus eigener Erfahrung: Das ist demütigend. Sehr demütigend.

Wir stecken also in einem Dilemma. Auf der einen Seite ist Vollbeschäftigung heute schon eine Illusion. Und in den nächsten paar Jahren werden rapide weiter viele, sehr viele Arbeitsplätze verloren gehen. Das heißt, es wird immer mehr Menschen ohne bezahlten Arbeitsplatz geben. Und auf der anderen Seite diskriminiert der Staat und der in der Gesellschaft vorherrschende Arbeitsbegriff diese Menschen als Menschen zweiter Klasse.

Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen

Piratenpartei Wahlplakat 2013 – Grundeinkommen. Das wird man ja doch wohl mal sagen dürfen.
Piratenpartei Wahlplakat 2013 – Grundeinkommen. Das wird man ja doch wohl mal sagen dürfen.

Wir Piraten fordern als Lösung dieses Dilemmas ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Einkommen das jedem Menschen, unabhängig von seiner sonstigen Tätigkeit, ausgezahlt wird. Und nicht nur unabhängig von der Tätigkeit eines Menschen sondern auch unabhängig von seiner Leistung. Dies ist der große Unterschied zu anderen Modellen, die beispielsweise Kindererziehung belohnen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das jedem Menschen ab Geburt ausgezahlt wird, nimmt Abschied von einem Menschenbild, das über Jahrhunderte unter anderem von dem biblischen Pauluszitat ‚Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘ geprägt wurde. Ein Menschenbild, dass die Wertigkeit eines Menschen von seiner Leistungsfähigkeit abhängig macht und so Personen, die weniger Leistung erbringen können, mal mehr und mal weniger zu Menschen zweiter Klasse degradiert hat. Ja, ein bedingungsloses Grundeinkommen bedeutet einen gewaltigen gesellschaftlichen Umbruch, es bedeutet den Abschied von gewachsenen Strukturen und Weltbildern.

Den Egoismus über Bord werfen

Aber ich möchte eine Lanze brechen für das BGE. Ja, es bedeutet Mut. Es bedeutet auch Mut, dieses Modell in der Öffentlichkeit zu vertreten, weil einem oft ein starker Wind entgegen bläst. Es bedeutet, dass unsere Gesellschaft gezwungen ist, ihren eigenen Egoismus über Bord zu werfen und neue Denkmuster zu wagen. Es bedeutet auch, dass wir innerhalb der Piratenpartei und als Privatpersonen unsere eigenen Denkmuster überdenken müssen. Aber wir waren ja mal angetreten, um Politik zu verändern und innovativ zu sein. Ich halte das BGE weiterhin für eines der wichtigsten Themen in der Piratenpartei. Unabhängig von irgendwelchen Ideologien. Es ist ein Thema, dass wir nicht aufgeben sollten. Viel eher sollten wir es weiter entwickeln, konkreter werden.

Die gesellschaftliche Realität braucht ein BGE. Lasst uns daran festhalten und es voran bringen!

4 Kommentare zu “Eine Lanze für das BGE – ein Kommentar von Maja Tiegs.

  1. „Der Begriff ‘Arbeit’ ist kaputt. Zumindest wenn man sich ansieht, was er heutzutage bedeutet. Arbeit zu haben bedeutet, dass man einen Job hat, mit dem man Geld verdient“

    Dieser Begriff hat auch noch nie irgendetwas anderes bedeutet. Frag mal nen Fabrikarbeiter aus dem 19 Jahrhundert oder nen Leibeigenen aus dem Mittelalter. Arbeit war noch nie etwas anderes als eine Notwendigkeit die sich in gesellschaftlichem Zwang ausdrückt.

    Und übrigens, was den Egoismus angeht. Ich bin aus ganz egoistischen Gründen fürs BGE da es immer gut ist mehr Kohle in der Tasche zu haben. Egoismus ist eine natürliche, menschliche Eigenschaft die uns erst zu freien Individuen macht.

  2. Hochrheinpirat

    Wenn ich mir zum Beispiel in die VAE schaue, sehe dass die Einheimischen, wenn sie gewisse Grundbedingungen einhalten(wie z.B. keinen Ausländer heiraten etc. ), dann bekommen sie ihr Haus gratis hingestellt, Ausbildung, ärztliche Versorgung und vieles mehr .. Eine Art fast bedingungsloses Grundeinkommen. Aber Neo-Kolonialismus auf der anderen Seite, die 85% Ausländer haben keine Absicherung. Die Emiratis gehen den ganzen Tag shoppen, die Pakistanis fahren die Taxis.
    BGE Bestrebungen in der Schweiz gehen in eine ähnliche Richtung, der Migrant nimmt nicht am Sozialsystem teil, irgendjemand wird ja benötigt, der dann die „schmutzige“ Arbeit macht.
    Persönlich wünsche ich mir eine solche Welt wie in den VAE nicht.
    Ein BGE-Konzept für Deutschland muss daher auch auf den neo-kolonialistischen Aspekt eingehen und dieses Dilemma lösen.

    • Ich denke das Thema ist komplizierter. Schon allein wenn man folgendes bedenkt:
      1. Gibt es kein Grundeinkommen für Ausländer werden diese bevorzugt eingestellt um den Lohn zu drücken
      2. Gibt es eines und das Geld wir vorwiegend ins Ausland zu Verwandten geschickt oder der Wohnsitz einfach nur als Fake angegeben und kommt damit eben nicht der eigenen Wirtschaft zugute, dann kann sowas auch schnell nach Hinten losgehen.

      Außerdem muss aufgepasst werden dass nicht die Preise so hoch geschraubt werden dass das Grundeinkommen wieder Bedeutungslos wird. Es müsste also Prozentual an den Einkommensdurchschnitt angepasst werden oder ähnliches. „Dreckige“ Arbeit würde dann aber wahrscheinlich so gut entlohnt dass sich auch Einheimische gern dort beschäftigen lassen.

  3. Wenn Maschinen die Menschen von Arbeitsplätzen verdrängen, wird Lohn und Urlaubsgeld ‚frei‘, denn die Maschine braucht beides nicht.
    Für das BGE ist …gerade wegen der Rationalisierung … genug Geld vorhanden. Doch wer steckt es sich ein? Gerade derjenige, der die ehemaligen Mitarbeiter in die Armut mit H.IV geschickt hat..!

    Das Pferd wurde einst ebenfalls von Maschinen ersetzt und hat heute nur noch ‚Freizeitwert‘. Das steht beim Menschen zweifelsfrei ebenso an!
    Doch hat der Mensch das Anrecht auf eine menschenwürdige Existenz, auf Teilhabe am Gesellschaftsleben, an Kultur und Bildung.

    Wir müssen also ohnehin die Berechtigung, (menschenwürdig) zu existieren von der Arbeit entkoppeln. Dann ist nicht die Frage, ob das bGE kommen muss, sondern nur noch, wie man das am vernünftigsten umsetzt..!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

63 − 58 =