#Leere Versprechungen – Hartz IV und die Folgen – Teil 7 – Es betrifft uns alle!
Autorin: Christina Worm:
- Rechtsanwältin für Sozialrecht seit 2011
- Mitglied der Piratenpartei seit 2012
- Listen- und Direktkandidatin für die Piraten bei der Bundestagswahl 2013
- Seit 2014 Mitglied in der Landschaftsversammlung des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe (LWL)
- Mitglied im Sozialausschuß des LWL
- Ehemals Mitarbeiterin des Jobcenters Soest 2010-2011
„Hartz-4ler“ bekommen alles in den Hintern geschoben“
„Ich wäre auch gerne Hartz-4ler, die bekommen doch eh` alles in den Hintern geschoben“. Nach den Weihnachts- und Silvesterfeiern haben viele diesen Satz gehört. Es gibt immer einen in der Familie oder einen Bekannten der diesen Satz loslässt.
Ich kann nur sagen: Nein! Das ist nicht der Fall.
Wenn ich mich im letzten Jahr umschaue und mir die „Erfolgsbilanz von zehn Jahren Hartz-IV“ anschaue, kann ich die Hochjubelei der Politik nicht nachvollziehen.
Ich möchte gerne veranschaulichen, wie super das System funktioniert:
Eine Frau hat jahrelang Immobilien vermietet. Das Geschäft lief gut. Dann kam der Euro, die Geschäfte wurden langsam schlechter. Der Ehemann trennte sich und gab ihr keinen Cent. Im Gegenteil, er nahm den Mietzins ein, sie sollte die Abgaben und Gebühren leisten. Sie ist krank, sowohl psychisch als auch physisch. Es reicht aber nicht für eine Erwerbsminderung. Die Frau war froh, dass es Arbeitslosengeld II gab. Sie sah nur leider nichts davon, denn sie hatte Immobilien. Zuletzt sammelte sie essbaren Müll aus den Mülltonnen der Nachbarn. Erst dann wehrte sie sich. In einem Eilverfahren vor Gericht wurde dann auch dem Jobcenter klar, dass man Immobilien nicht essen kann.
Fehlende Stromzahlungen, offene Miete, auch wenn dies unverschuldet geschieht, übernimmt das Jobcenter die Kosten häufig nicht. Selbst vor Gericht erreicht man erstmal wenig, denn für die Gerichte wird das Verfahren erst dringend, wenn die Räumungsklage zugestellt, oder der Strom abgedreht wurde. Auf dem Ärger und den Kosten bleiben die Hilfebedürftigen sitzen.
Arbeitslosengeld ist eben kein Spaziergang, es ist eher ein Spießrutenlauf.
Anträge verschwinden, die Hotline erreicht man so gut wie nie und Mitarbeiter sind unfreundlich. Das passiert nicht immer und nicht in jedem Fall. Aber mit wenigstens einem davon wird jeder konfrontiert.
Dies liegt aber auch daran, dass die Mitarbeiter überlastet sind. Man darf nicht vergessen, wer aus der Arbeitslosenstatistik herausfällt: Menschen in Maßnahmen, Menschen mit Krankheiten, Aufstocker. Die Beschäftigtenzahl der Jobcenter orientiert sich aber nicht an der Menge der Bedarfsgemeinschaften oder Leistungsempfänger, sondern an der Menge der Arbeitslosen. Das ist meines Erachtens nach höchst intransparent und fatal – für Hilfebdürftige, wie auch für die Mitarbeiter.
Und was soll nächstes Jahr kommen? Widersprüche sollen 5 Euro kosten, Gerichtsverfahren 20 Euro. Die Menschen wollen ihre Rechte wahrnehmen und werden hierdurch daran gehindert. Anstatt das System zu überdenken, wird dem Spießrutenlauf eine weitere Hürde hinzugefügt und es den Menschen möglichst schwierig gemacht, ihre Rechte durchzusetzen.
Beim Zusammenziehen zweier oder mehrerer Menschen, soll dies ab der ersten Minute eine Bedarfsgemeinschaft begründen. Wegfallen soll die sechs-monatige Probephase, wo jeder noch sein eigenes Geld behält. Man kann also als Erwerbstätiger finanziell nicht mit Alleinerziehenden zusammenziehen, und sei es nur um zu prüfen, ob eine Beziehung für die Zukunft funktioniert, da man sofort für alle verantwortlich ist.
Und man sollte immer bedenken: Arbeitlosengeld kann jeden betreffen. Ich habe in meiner Arbeitspraxis unter anderem arbeitlose Doktoren, ehemalige Geschäftsführer und Selbstständige vor mir sitzen, die in die quälende Hartz IV – Falle gefallen sind.
Es ist kein Problem der „Armen“. Es betrifft uns alle.
Der lange Weg nach oben wird im Fall nach unten bitter kurz.
Auch darüber sollte man nachdenken.
Für alle, die in den Mühlen der Hartz IV-Falle landen, haben wir Piraten für den Umgang mit den Jobcenter in diesem Video einige Tipps zusammengetragen. Eure Rechte bei einem Jobcenterbesuch findet ihr auch in diesem Flyer
Sehr sehr schön! Vielen Dank, besonders für den Absatz zu den „Interna“ (Mitarbeiter überlastet, Personalbemessung…)