– Die digitale Revolution?
Die ‚Digitale Revolution‘ kommt auch im Verkehr frontal und verdammt schnell auf uns zu. Die Landesregierung in NRW denkt, sie springt auf, aber eigentlich wurde sie bereits überfahren.“
Stichwort „Autonomes Fahren“:
Werden fahrerlose, automatisch gesteuerte Kraftfahrzeuge oder LKW schon bald alltäglich sein? Oder wie kann es sein, dass Angela Merkel sich gegen Netzneutralität ausspricht und als Argument dagegen den autonomisierten Verkehr anführt, während die Landesregierung behauptet, der Wandel in der Verkehrspolitik könne nicht digital sein? Was war passiert? Was wird passieren?
Oliver Bayer MdL, Sprecher im Verkehrsausschuss des Landtags NRW für die Piratenfraktion, fasst zusammen, was „Autonomes Fahren“ für NRW bedeuten würde:
Ich weiß, dass sich andere Parteien damit schwertun, die Auswirkungen der „Digitalen Revolution“ auf die Gesellschaft, die Politik und das gesamte Land zu begreifen; dass sie mittlerweile zwar so tun, als ob sie Antworten hätten, aber oft nicht einmal die wichtigen politischen Fragen kennen. Deshalb bin ich in der Piratenpartei. Doch das Ausmaß an Ignoranz der Landesregierung in NRW für die Tragweite der „Digitalen Revolution“ hat mich dann doch überrascht – geradezu schockiert.
Im Januar 2015 präsentierte uns NRW-Ministerpräsidentin Kraft zur Regierungshalbzeit einen Themenwechsel: Die bisherigen Themen waren ihr aus der Hand geglitten, doch ein NRW-Plan zur „Digitalen Revolution“ soll in Form einer Regierungserklärung neuen Schwung in die Regierungszeit bringen. Es ist ein peinliches Stückwerk aus allen vorhandenen Projekten des Landes, die irgendwie nach „Digitales“ klingen – zusammengewürfelt zu einer Art Programmrahmen zur Stärkung der heimischen Wirtschaft. Es handelt sich nicht wirklich um einen Plan; erst recht keinen zur „Digitalen Revolution“; höchstens um einen, alte Gewohnheiten vor der Revolution in Sicherheit zu bringen.
In der neuen Regierungserklärung der Landesregierung ist auch vom „Autonomen Fahren“ die Rede. Unser Landesverkehrsminister Groschek bemerkte nämlich, dass der Bundesverkehrsminister Geld in die bayrische Autobahn zwischen Audi und BMW fließen lassen will – und meldete schnell selbst Bedarf für eine Teststrecke für „Autonomes Fahren“ in NRW an. Das wurde als Teil der NRW-Strategie zur „Digitalen Revolution“ gepriesen.
Wir interessierten uns sehr für die Ideen der Landesregierung zum Thema „Autonomes Fahren“ und fragten im Verkehrsausschuss nach, was hinter dem Antrag für eine Teststrecke steckt [1]. Das Ergebnis war ernüchternd: Etwas Standortpolitik – also Wirtschaftsförderung, aber nicht sonderlich durchdacht. Ansonsten nichts. Kein Konzept, keine Eigeninitiative, nicht eine einzige verkehrspolitische Idee zum Digitalen Wandel. Minister Groschek fragte Bundesminister Dobrindt nach Geld. Das war die ganze Strategie.
Eine unserer Aufgaben im Landtag war und ist es, die Landesregierung dazu zu drängen, sich Gedanken zu machen und tiefer in wichtige Themen einzusteigen. Also stellten wir einen Antrag zum „Autonomen Fahren“ [2] für das Plenum. Schwerpunkt unseres Antrags ist es, die Landespolitik in die Pflicht zu nehmen, sich um den Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs im Rahmen des autonomen Fahrens und der digitalen Revolution im Verkehr zu kümmern. Dies ist unserer Meinung nach eine Pflichtaufgabe der Politik, damit das Autonome Fahren zur Leitinnovation einer digitalen Verkehrswende wird – als große Chance, für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. [siehe unten].
Nach meiner Rede [3] im Plenum, ging die Debatte im Landtag [4] mit einer Rede der SPD-Abgeordneten Sarah Philipp vielversprechend weiter: Sie zählte ein paar unzusammenhängende Alibi-Projekte des Landes als Existenzbeweis einer Strategie auf, hatte das Thema aber gut aufbereitet. Die CDU blieb bei Standortpolitik und Wirtschaftsförderung – OK. Arndt Klocke von den Grünen überraschte mich: Die notwendige Verkehrswende könne nicht digital sein. Das Zukunftsszenario läge nicht im digitalisierten autonomen Fahren. Er warnte vor übertriebenen Erwartungen.
Wirklich enttäuschend trat jedoch Verkehrsminister Groschek auf: Neben Belanglosigkeiten und Protestnoten nach Bayern konnte er gar nichts vorweisen: Nicht einmal echte Alibi-Projekte. Es blieb bei einem Verweis auf die kommenden VRR-eTickets und auf ein Forschungsprojekt der RWTH Aachen zum automatischen Konvoi-Fahren von LKWs. Das ist zwar ein schönes Forschungsprojekt, hat aber weder etwas mit unserem Antrag und einer digitalen Verkehrswende oder dem ÖPNV zu tun, noch irgendetwas mit einer Strategie der Landesregierung.
Ich fragte in einer sogenannten „Kurzintervention“ nach dem Gesamtkonzept, welches es nach der Regierungserklärung im Januar doch geben müsse. In seiner Antwort sagte Minister Groschek, für die Zukunft der PIRATEN sähe er schwarz und klammerte sich anschließend minutenlang erneut an das Forschungsprojekt der RWTH Aachen, bis er vom Verweis auf die Redezeit erlöst wurde.
Die Landesregierung hat also weder ein Gesamtkonzept zum digitalen Wandel im Verkehrsbereich, noch irgendeine Idee, warum sie eine Teststrecke für „Autonomes Fahren“ will oder was die „Digitale Revolution“ für den Mobilitätsmarkt bedeutet. Das heißt dann wohl, dass wir an dieser Stelle weitermachen müssen.
Gesellschaft und Politik:
Die „Digitale Revolution“ ist ja nichts Neues.
Ich bin in der Piratenpartei, um während dieser großen gesellschaftsverändernden Prozesse die Freiheit jedes Einzelnen zu stärken und den Fortschritt für alle zu nutzen. Dafür jedoch wird eine Politik benötigt, die die digitalen Wendepunkte und deren Gefahren und Potenziale erkennt.
Die Erkenntnis, dass sich durch die „Digitale Revolution“ Verkehr und Mobilität genauso extrem wandeln werden wie andere Bereiche des Lebens – und dass das große gesellschaftliche Änderungen nach sich ziehen wird – setzt sich gerade erst durch. Der Zeitpunkt für die Politik ist gut, die Chancen der „Digitalen Verkehrs-Revolution“ für klimapolitische und soziale Ziele zu nutzen. Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen und mutig die alte Verkehrspolitik infrage stellen, die sich sowieso gerade in einer Sackgasse befindet. Wir brauchen die moderne digitale Verkehrswende.
Viele neue Mobilitätskonzepte werden kommen: Selbsfahrende Autos können Car-Sharing-Autoverkehr und ÖPNV intelligent zusammenbringen und versöhnen. Dadurch wird Car-Sharing auch im ländlichen Raum besser funktionieren und den Busverkehr ergänzen.
Die Software- und Autoindustrien möchten in diesem großen Markt Mobilitätsdienstleister werden. Und es ist wichtig, der Auto-Zuliefererindustrie in NRW einen Nährboden für Kreativität und Innovationen zu bieten. Aber es sind vornehmlich ganz andere Akteure, die den politischen Beistand benötigen:
Die Verkehrsbetriebe im Öffentlichen Nahverkehr als natürliche Mobilitätsdienstleister – mit der Kompetenz Transportketten zu organisieren – müssen sich weiterentwickeln. Ein moderner ÖPNV ist zentral für alle Zukunftsszenarien und steht im Mittelpunkt aller Konzepte zur Multimodalität. Wenn es um „Autonomes Fahren“ und den Wandel im Mobilitätsmarkt geht, hat deshalb der ÖPNV als Mobilitätsdienstleister die Schlüsselrolle.
Das betrifft die große Diskussion um die Erneuerung unserer Verkehrswege. Aber auch bei etlichen Einzelprojekten im Verkehrs- und ÖPNV-Bereich sollte, aufgrund ihrer Langfristigkeit, das „Autonome Fahren“ bereits jetzt mitgedacht werden. Beispiele sind die „Stationsoffensive im Regionalverkehr“ oder der Rhein-Ruhr-Express (RRX): Es ist nicht voreilig, sondern geboten, bei einem so langfristig bedeutenden Projekt wie dem RRX multimodale Haltepunkte vorzusehen. Diese müssen natürlich auf Autonome Fahrzeuge im ÖPNV- bzw. Car-Sharing-Betrieb zugeschnitten sein.
Hier ist die Politik gefragt, damit nicht der Großteil der Menschen vom Fortschritt abgehängt wird. Damit nicht die einen teure selbstfahrende Autos haben und andere gar nicht mehr mobil sein können. Die Zukunft geht auch ohne eine Zweiklassengesellschaft des „Autonomen Fahrens“ und ohne den Ausverkauf persönlicher Daten.
Die Politiker im Land müssen viel mutiger werden, abseits von Standortpolitik zu denken. Dafür wollen wir sorgen, indem wir zunächst eine Anhörung zum „Autonomen Fahren“ im Landtag beantragen und dann das Thema weiterführen.
Wir müssen nicht wissen, wie die Zukunft aussieht, wir müssen keine Technologien prophezeien, aber wir müssen offen dafür sein, dass sich Dinge radikal in einem atemberaubenden Tempo verändern können und dass dies auch die Verkehrspolitik betreffen wird, die sich Jahrzehnte lang tief greifenden Veränderungen entziehen konnte. Deshalb muss sich die Politik ab sofort deutlich umfassender mit den Folgen der „Digitalen Revolution“ im Verkehr und den Auswirkungen des „Autonomen Fahrens“ auf Markt, Staat und Gesellschaft auseinandersetzen.
Gastbeitrag von Oliver Bayer (MdL) PIRATEN NRW
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