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Kranke Parteienfinanzierung – Diskriminierung mit System

NICO KERN - 200x300Über den Autor:

Nico Kern, geboren 1972 in Köln, Jurist und Bankkaufmann, ist seit 2009 Mitglied der Piratenpartei. Seit der Landtagswahl im Mai 2012 vertritt er die Piraten im Landtag NRW. Er ist Vorsitzender des Ausschusses für Europa und Eine Welt und Mitglied im Rechtsausschuss. Er ist verheiratet und lebt in Marl. Dort setzt er sich auch für kommunale Belange ein und ist für die Piratengruppe im Kreistag Recklinghausen aktiv. Er bloggt auf nicokern.de und twittert als @TeilerDoehrden.

 

 

Kranke Parteienfinanzierung – Diskriminierung mit System – Teil I.

Düsseldorf, 14.04.2015

Die Parteienfinanzierung. Bevor man in eine Partei eintritt, interessiert man sich eher wenig für dieses Thema. Erst danach, und dann sogar sehr. Vor allem wenn man PIRAT ist.

Dies kann aus zwei Aspekten geschehen. Entweder aus einer rein parteilichen oder aus einer gesamtgesellschaftlichen Sichtweise heraus. Während bei PIRATEN viele Diskussionen unter dem Parteiaspekt geführt werden, kommt die gesamtgesellschaftliche Debatte manchmal etwas zu kurz. Dabei ist es auch als Partei interessant, mit welchen verfassungswidrigen, weil diskriminierenden gesetzlichen Vorgaben wir uns als Partei herumplagen müssen.

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In Deutschland erhalten politische Parteien Geld vom Staat. Kleinere, nicht im Bundestag vertretene Parteien werden dabei benachteiligt. In einer dreiteiligen Serie möchte ich einmal den Gründen und versteckten Ursachen nachspüren.

Anlass ist die aktuelle Berichterstattung über eine Klage gegen die Parteienfinanzierung vor dem Bundesverfassungsgericht von Prof.
Hans Herbert von Arnim und ein Antrag zum NRW-Parteitag, der die Forderung beinhaltet, die sogenannte „relative Obergrenze“ bei der staatlichen Parteienfinanzierung abzuschaffen. Doch zunächst nochmal die Basics.

Exkurs: Warum staatliche Teilfinanzierung?

Laut Parteiengesetz gibt es keine volle, sondern nur eine teilweise Finanzierung von Parteien (sogenannte Teilfinanzierung). Dass es überhaupt staatliche Mittel gibt, ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man internationale Vergleiche anstellt. Vor allem im anglo-amerikanischen Rechtsraum ist es unüblich, dass der Staat als Finanzier von Parteien auftritt. Der deutsche Gesetzgeber hat sich aus guten Gründen anders entschieden.

Jedoch war es auch in Deutschland ein langer Weg bis dorthin. Ein wichtiger Grundsatz der Nachkriegszeit lautete (und lautet bis heute), dass die Parteien nicht vom Staat abhängig sein dürfen. Die Verquickung von Staat und Partei im Dritten Reich und deren Folgen hatte man noch gut vor Augen. Daher sollen sie sich auch unabhängig von ihm finanzieren. Früher gab es daher gar keine „Parteienfinanzierung” sondern lediglich eine „Wahlkampfkostenrückerstattung”. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht.

Ohne Wahlen geht es in einer Demokratie nicht, daher war auch die Finanzierung ok. Dieses Instrument entwickelte sich aber letztlich auch nur zu einem Deckmantel für die Parteien, um ihre allgemeinen Parteiapparate zu finanzieren. Also waren sie doch nicht so staatsfern, wie sie nach außen getan haben. Das Bundesverfassungsgericht wollte das Versteckspiel nicht mitmachen und fällte 1966 eines seiner vielen Urteile zu diesem Thema. Erst hiernach konnte man offen über „Parteieinfinanzierung” sprechen. Geld vom Staat für Parteien außerhalb des Wahlkampfs war nicht mehr länger igitt und verboten.

Aber es gab einen Kniff als Begründung. Die Parteien erfüllten staatliche Aufgaben, die nach der neuen Lesart des Bundesverfassungsgerichts auch vom Steuerzahler zu finanzieren sind: Politische Bildung hört ja nicht in der Schule auf. Schulen werden vom Staat bezahlt, warum also nicht auch Parteien, wenn sie sich auch um Bildung (nämlich der politischen Willensbildung) kümmern. Das Gericht zeigte sich also bei aller Härte gegenüber den Parteien auch verständnisvoll. Aber es verlangte ein Gesetz für die Regelung der Finanzierung. Das Parteiengesetz war geboren. Vorher wurde die Finanzierung einfach im Bundeshaushalt veranschlagt. Raider hieß jetzt Twix, sonst änderte sich nix.

Maßstäbe für die Verteilung der staatlichen Mittel sind einerseits die Resultate bei Europa-, Bundestags- und Landtagswahlen. Pro Stimme gibt es mittlerweile 85 Cent für die ersten vier Millionen gültigen Stimmen, danach 70 Cent. Andererseits gibt es 38 Cent pro vereinnahmten Euro Mitgliedsbeitrag oder Spende. Geld gibt es nur für eine Partei, die bei einer Bundestags- oder Europawahl ein Minimum von einem halben Prozent der gültigen Stimmen oder bei einer Landtagswahl ein Prozent der gültigen Stimmen erhielt.

Hürde geschafft, das Geld fließt in Strömen?

Bekommt also jede Partei Geld, die genügend Wählerstimmen erreicht hat? Nein, denn nun greifen zwei Deckel:

1. Deckel: Das jährliche Gesamtvolumen staatlicher Mittel für alle Parteien ist auf eine fix festgelegte Summe gedeckelt. 2014 waren dies immerhin ca. 156,7 Millionen Euro. Mehr Geld gibt es nicht vom Staat (sogenannte „absolute Obergrenze). Seit der letzten Gesetzesänderung wird dieser Betrag noch jährlich um einen Inflationsausgleich erhöht. Das erspart lästige Diskussionen, die man sonst bei vergangenen Erhöhungen per Gesetz führen musste, warum Parteien schon wieder mehr Geld vom Bürger haben wollen. Jetzt geht das automatisch. Wie praktisch…

2. Deckel: Wie eben bereits geschrieben, will man auch keine vollständig vom Staat abhängige Parteien, und hat daher die sogenannte „relative Obergrenze“ geschaffen. Diese Grenze besagt nichts anderes, als dass die Partei mindestens die Hälfte ihrer Mittel selbst „beschaffen“ muss. Es darf also nicht mehr Staatszuschuss geben, als etwa an Mitgliedsbeiträgen, Mandatsträgerabgaben, Spenden, etc. hereinkommt. Man kann sich das wie kommunizierende Röhren vorstellen.

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Beispiel: Hat eine junge Partei mit 2,2 Prozent zwar Hunderttausende von Wählerstimmen, aber lediglich 50.000 Euro Einnahmen aus Beiträgen ihrer Mitglieder, dann bekommt sie auch höchstens 50.000 Euro vom Staat dazu. Mit etwas größeren Zahlen ist die Piratenpartei von der relativen Obergrenze betroffen. Denn die klammen PIRATEN generieren nicht genug eigene „Einnahmen“, um ihre Stimmenanzahl in Parteifinanzierungszuschüsse umzumünzen.

Da stellt sich die Frage, wie gerecht das ist. Auf den ersten Blick vielleicht schon. Das Bundesverfassungsgericht leitet das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb aus Artikel 21 GG ab. Es steht in engem Zusammenhang mit den Grundsätzen der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl, die ihre Prägung durch das Demokratieprinzip erfahren.

Ein wichtiger Wahlrechtsgrundsatz wird in unserem politischen System allerdings bewusst verletzt: Die Wahlgleichheit.

Eine Stimme für eine Partei, die unterhalb von fünf Prozent bleibt, hat keinen Erfolgswert. Und als sei das noch nicht schlimm genug, hat dies noch eine weitere Folge: Es ist Fakt, dass Parlamentsparteien wesentlich mehr Mitgliedsbeiträge und Spenden erhalten als Parteien außerhalb des Bundestages. Großspenden gehen quasi ausschließlich an Bundestagsparteien. Außerparlamentarische Parteien sind dagegen auf Kleinspenden angewiesen. Durch die relative Obergrenze hat dies dann noch einmal negative Konsequenzen für die Kleinen. Dabei haben selbst die kleineren Parlamentsparteien schon Schwierigkeiten, allein mit Spenden und Mitgliedsbeiträgen ihre relative Obergrenze einzuhalten. Außerparlamentarischen Parteien ist es fast immer unmöglich, die ihnen eigentlich zustehenden Staatsmittel abzurufen, weil sie zu wenige eigene Einnahmen haben und somit an der relativen Obergrenze scheitern.

Artikelbild Parteienfinanzierung Mehr als nur Kleingeld
„Staatliche Parteienfinanzierung: Mehr als nur Kleingeld“

 

De facto verschaffen sich die Bundestagsparteien also mit der 5%-Sperrklausel zwei Mal einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den kleinen Parteien. Das ist mit dem Verfassungsgrundsatz der Chancengleichheit der Parteien nicht zu vereinbaren. Der Deckel der „relativen Obergrenze“ muss daher für kleine Parteien aufgeweicht werden. Alles andere ist Diskriminierung mit System.

Es wäre tatsächlich wichtig, dass dieser verfassungswidrige Zustand beseitigt wird. Denn an dieser Stelle wird auch insgesamt der gesellschaftliche Wandel ausgebremst. Jungen Parteien fehlen Mittel für die politische Arbeit, abgestrafte Altparteien können noch in vollem Umfang von ihren Ressourcen leben – mit Staatszuschuss. Der Wähler ist noch weniger motiviert, seine Stimme an eine kleine Partei zu geben. Findet er nichts im Politikangebot, wendet er sich von der Wahl ab, wird Nichtwähler. Eine ungute Entwicklung für unsere Demokratie.

Morgen in Teil II dann im einzelnen zur Perversion des Systems Parteienfinanzierung.

2 Kommentare zu “Kranke Parteienfinanzierung – Diskriminierung mit System

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