– Interview mit Simone Brand
Düsseldorf, 07.05.2015
Simone Brand ist seit 2012 Abgeordnete der Piraten im Landtag NRW. Sie engagiert sich leidenschaftlich für Integration, Verbraucher- und Tierschutz. Wir haben sie nach ihren Projekten und Plänen, aber auch nach ihren persönlichen Erfahrungen und Eindrücken im Landtag gefragt und sehr offene Antworten bekommen.
Christiane vom Schloß: Du warst 2012 unter den fünf Spitzenkandidaten auf der Landesliste. Damals war es ziemlich sicher, dass du in den Landtag gewählt würdest. Gab es einen bestimmten Anlass oder eine wichtige Erfahrung in deinem Leben, die dich bewogen hat, in die Politik zu gehen?
Simone Brand:
Ich erzähle die Geschichte immer wieder gerne: Es war im Sommer 2009 am Sonntag der Europawahl. Ich habe mich immer für Politik interessiert, und mir war es immer wichtig, mein Wahlrecht wahrzunehmen. Auch die Verschärfung der Terrorgesetze und den Umgang der Politik mit dem Internet habe ich zunehmend kritisch beobachtet. An diesem Sonntag wollte ich wählen, wusste aber endgültig nicht mehr, wen ich wählen sollte. Alle etablierten Parteien hatten sich in den letzten Jahren vollkommen unwählbar gemacht. Ich bemühte also den Wahl-o-mat und ganz oben stand da die Piratenpartei.
Ich stutzte, schaute mir den Spot und das Programm an und da war sie – eine Partei bei der ich alle Programmpunkte zu 100% mittragen konnte. Der Zeitpunkt war gekommen, aktiv zu werden, nicht mehr nur zu beobachten, sondern mitzugestalten und zu kämpfen.
Ich wählte an diesem Tag die PIRATEN, erfuhr von den einfachen Möglichkeiten der Partizipation und dann ging alles ganz schnell. Zwei Wochen später war ich auf dem ersten Stammtisch, habe dann mit dem Tapeziertisch Wahlkampf zur Bundestagswahl gemacht und mich im Oktober 2009 zur Wahl für die Landesliste NRW zur Landtagswahl 2010 gestellt.
Christiane vom Schloß: Wie sieht dein Alltag als MdL tatsächlich aus?
Simone Brand:
Mein Alltag ist sehr vielseitig. Es gibt zum einen die regelmäßigen Termine: Vorstandsitzung, Fraktionssitzung, Ausschusssitzungen, Obleuterunden, Vorbereitung der Ausschüsse mit den Fachreferenten und Plenartage. Darüber hinaus treffe ich mich mit Vertretern von Organisationen, um Themen zu vertiefen bzw. Antragsthemen vorzubereiten, besichtige vor Ort Gegebenheiten, um mir ein Bild zu machen (z.B. Haus in den Peschen in Duisburg).
Wichtig sind mir auch offizielle Einladungen aus meiner Stadt Bochum, weil man auf solchen Veranstaltungen wichtige Kontakte und Gruppen kennenlernt, auch wenn diese Veranstaltungen thematisch für meine politischen Themen nicht immer von Bedeutung sind.
Darüber hinaus lese ich viel. Jeden Tag trudeln Anträge, Antworten auf kleine Anfragen, Vorlagen, Gesetzentwürfe und und und herein. Zum Glück wird das meiste inzwischen digital gesendet, ansonsten kämen pro Tag mindestens Papiere in Telefonbuchstärke rein.
Ich versuche möglichst häufig, den Bochumer Stammtisch zu besuchen und treffe mich mit dem Arbeitskreis Klima, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz (AK KULNV) alle vierzehn Tage im Mumble. Gerne würde ich noch mehr Stammtische besuchen und habe auf dem letzten LPT am Open Mic noch einmal explizit dazu aufgerufen, Einladungen auszusprechen, da die Informationen im Wiki zu den Stammtischen häufig nicht aktuell sind. Also: Wenn ich vorbeikommen soll, ladet mich ein. Wenn es terminlich passt, komme ich gerne!
Christiane vom Schloß: Du bist stellvertretende Fraktionsvorsitzende, Integrationspolitische Sprecherin der Piratenfraktion im Landtag NRW, Sprecherin für Verbraucherschutz der Piratenfraktion im Landtag und seit neuestem auch Mitglied im Sportausschuss. Kann eine einzige Abgeordnete so viele Aufgaben bewältigen? [Wie schaffst du das?]
Simone Brand:
Man muss sich selbst sehr gut organisieren und benötigt eine gute Zuarbeit der Mitarbeiter und Referenten. Am Anfang habe ich auch jede Einladung angenommen, die reinkam und es waren mehrere jeden Tag. Es ist wichtig zu entscheiden, welche Termine wirklich sinnvoll sind für die eigene politische Arbeit und zu welchen man nicht geht – die sogenannten Schnittchentermine, wo sich eine Veranstaltung nur gerne mit Abgeordneten schmückt.
Ich habe zum Glück für meine Themengebiete sehr gute Referenten in unserer Fraktion, die Ausschusssitzungen so vorbereiten, dass ich nicht alle Texte, Stellungnahmen, Entwürfe etc. in Gänze selbst lesen muss. Das wäre bei der Fülle der Themen auch gar nicht möglich. Mein persönlicher Mitarbeiter ist mein „Rückenfreihalter“, der über meine Termine wacht.
Auch die Kunst des Delegierens ist sehr wichtig. Sachen in andere Hände abgeben und Vertrauen haben ist etwas, was nicht jeder kann.
Christiane vom Schloß: Welche Projekte liegen dir augenblicklich am meisten am Herzen?
Simone Brand:
Das vorrangige Thema ist aktuell die Aufnahme und Unterbringung der Migranten, die nach Deutschland kommen. Ich werde mir im Juni sowohl die Lage in Lampedusa als auch gemeinsam mit dem NRW-Integrationsminister Guntram Schneider (SPD) die Lebenssituation der Roma in Rumänien anschauen.
Christiane vom Schloß: Systemische Innenansichten können frustrierend sein. Gab es Ereignisse, die dich zweifeln ließen, ob deine Entscheidung, MdL zu werden, überhaupt richtig war?
Simone Brand:
Ja die gab es. Wir sind mit großem Enthusiasmus in den Landtag eingezogen. Ich hatte wirklich die Vorstellung, dass richtig gute Anträge doch gar nicht abgelehnt werden können, wenn sie zum Wohle für NRW und seiner Bevölkerung sind. Ob ein Antrag angenommen wird, hat aber damit überhaupt nichts zu tun. Kommt er von der Opposition wird er kategorisch abgelehnt. Die Politik der gereichten Hand, die uns Hannelore Kraft zu Beginn versprochen hat, entpuppte sich als heiße Luft. Das war gerade zu Beginn sehr frustrierend.
Auch mahlen die Mühlen in der Politik quälend langsam. Mein Gesetzesentwurf zur Reptilienhaltung wartet seit September 2013 auf seine Anhörung, obwohl der Gegenentwurf der Landesregierung auch schon seit Herbst 2014 vorliegt.
Christiane vom Schloß: Klimaschutz ist eine der wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte. Welche Möglichkeiten hast du auf Länderebene, etwas gegen den Klimawandel zu tun?
Simone Brand:
Ein zentrales Thema unseres Wahlkampfes war die Stärkung des ÖPNV. Dieser muss attraktiver werden und in vielen Bereichen neu gedacht werden (z.B. Fahrscheinloser Nahverkehr). Das Thema ist allerdings Oliver Bayers Schwerpunkt, welches er mit großem Einsatz bearbeitet. Fragt ihn doch mal dazu! (Machen wir!).
Christiane vom Schloß: In deinem Blog dokumentierst du freiwillig dein Abstimmungsverhalten, deine Einkünfte und Mitgliedschaften. [Gab es positive oder negative Reaktionen dazu?] Warum sind so wenige Politiker zu solchen Formen der Transparenz bereit?
Simone Brand:
Ich habe bis jetzt keine negativen Reaktionen erlebt. Aktuell arbeite ich daran, noch transparenter zu arbeiten. Neben dem Abstimmungsverhalten, den Einkünften und Mitgliedschaften soll der interessierte Mensch auch bald mit wenigen Klicks alle meine Termine mit NGO´s und Unternehmen überblicken können. Dazu habe ich mir die Adresse simone.brand.nrw gesichert. Bis zum Sommer soll alles fertig sein.
Politiker 1.0 befürchten natürlich, dass ihr Abstimmungsverhalten entlarvt wird, wenn sie offenlegen, woher sie Einkünfte beziehen bzw. wo sie Mitglied sind.
Christiane vom Schloß: Die Politikverdrossenheit ist groß und die Wahlbeteiligung sinkt. Wo liegen deiner Meinung nach die Hauptgründe dafür und was können wir dagegen tun?
Simone Brand:
Die Menschen sehen zunehmend, wie bedeutungslos es ist, wem sie ihre Stimme geben, da kann man dann lieber einen Ausflug machen, statt wählen zu gehen.
Die Abgebrühtheit, mit der Wahlversprechen gebrochen werden, ist doch immer dreister und offensichtlicher. Merkel sprach sich im Wahlkampf vehement gegen die PKW-Maut aus, Heiko Maas stellt sich noch vor drei Monaten gegen die Vorratsdatenspeicherung. Wem soll man denn noch glauben?
Des weiteren assimilieren sich die etablierten Parteien immer mehr.
Protestwähler wandern wahllos von einer neuen Partei zur anderen, dabei kommt dann ein unsäglicher Erfolg, wie der der AFD heraus.
Glaubwürdigkeit in unseren Aussagen und Handlungen ist das einzige Mittel das wir haben. Dabei müssen wir immer wieder die Lügen und den Wahlbetrug der anderen aufzeigen.
Christiane vom Schloß: Wirst du in Erwägung ziehen, ein zweites Mal für die Landesliste zu kandieren und falls ja, wofür nutzt du eine zweite Amtszeit?
Simone Brand:
Ja, ich werde ein zweites Mal kandidieren.
Ich würde meine gereifte politische Erfahrung und die ganzen gewonnenen Kontakte nutzen, um mich weiter für Integration, Verbraucher- und Tierschutz einzusetzen.
Christiane vom Schloß: Wenn du drei politische Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?
Simone Brand:
Echte Debatten in den Ausschüssen, bei denen wirklich an den Anträgen gefeilt wird.
Gute Anträge von der Opposition werden angenommen und nicht drei Monate später von den regierungstragenen Fraktionen leicht verändert neu eingebracht, um dann positiv abgestimmt zu werden.
Abgeordnete handeln nach ihrem freien Mandat und nicht immer nach Fraktionszwang. (Grüne stimmten hier für Vorratsdatenspeicherung bei einzelner namentlicher Abstimmung – pervers)
Vielen Dank für dieses informative Interview!
Aurorin: Christiane vom Schloß
Seit April 2012 Mitglied der Piratenpartei im Landesverband Schleswig-Holstein
und ab 2013 bei den Sozialpiraten engagiert.
Redakteurin der Flaschenpost seit Juli 2014.
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