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PIRATEN Herzogenrath wollen „Den Bürger abstimmen lassen!“

FOTO: Oliver Bayer / Header Timecodex - CC BY NC SA

Düsseldorf, 26.05.2015

Ihr erstes Jahr im Herzogenrather Stadtrat hat die Piratenfraktion Herzogenrath fast rum. Anerkennend heißt es in der Stadt, dass sie sich fachkundig einmischen und mit frischen neuen Ideen aufwarten.

Nun ist Herzogenrath keine reiche Stadt, welche aus dem Vollen schöpfen kann, nein, ganz im Gegenteil. Für politische Projekte fehlt das Geld.

Aufgrund fehlender Jahresabschlüsse für 2009-2011 hat Herzogenrath keine Chance, einen genehmigten Haushalt zu bekommen. Die Gemeinde befindet sich bereits seit Jahren im Haushaltssicherungs-Konzept (HSK). Es war geplant, zum Jahr 2016 einen ausgeglichenen Haushalt darzustellen.

Um dies zu erreichen, muss schon in 2015 die Grundsteuer B um 25% auf 510 Punkte erhöht werden. Anfang des Jahres hat dann allerdings die Verwaltung eröffnet, dass Herzogenrath zehn Millionen Euro zusätzliche, überplanmäßige Ausgaben zu stemmen haben würde.

Der Ausgleich für 2016 ist also nicht mehr zu halten. Stattdessen wird nun versucht, das HSK auf 2018 fortzuschreiben, aber, dies ginge nur mit weiteren Steuererhöhungen im Jahr 2017, wie durch Anhebung der Grundsteuer B, auf dann 788 Punkte.

Hier war der Punkt gekommen, an denen es der Piratenfraktion Herzogenrath reichte.

„Wir haben hier das Gefühl, das Ratsmehrheit und Verwaltung stumpf die Einnahmesituation
anpassen, ohne sich echte Gedanken zur Ausgabensituation, und wie man ggf. dort Ausgaben sparen kann, zu machen. Im Gegenteil; die Ratsmehrheit spinnt sich gerade den Neubau eines Schwimmbades in Herzogenrath-Kohlscheid zusammen.

An der Schuldenbremse vorbei will man über PPP bzw ÖPP (Öffentlich-Private Partnerschaft) ein Schwimmbad bauen lassen, das Herzogenrath dann pachten soll. „Das bringt das Fass zum überlaufen“, so Kai Baumann, Fraktionsvorsitzender der Piratenfraktion.

 

Die Fraktion hat die Situation zum Anlass genommen, darauf in ihrer Haushaltsrede hinzuweisen:

KAI BAUMANN - PIRATEN HERZOGENRATH - IMG_3335.1 - STUDIO LIZ - CC-BY SA - BLOG

Haushaltsrede 2015 Piratenfraktion Herzogenrath
Stadtrat, Sitzung vom 12.05.2015 Kai Baumann

 

Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren,

geschätztes Kolleginnen und Kollegen,

als wir vor fast genau einem Jahr – im Mai 2014 – erstmalig in den Stadtrat von Herzogenrath eingezogen sind, haben wir uns wohlgemut und optimistisch den Aufgaben und Herausforderungen gestellt.

Ich nutze diese Rede auch, um Sie an meinen persönlichen Erkenntnissen dieses Jahres teilhaben zu lassen.

Bereits im Wahlkampf hatten viele Bürger im Gespräch auf einen, aus ihrer Sicht, unbefriedigenden Zustand von Verwaltung und Politik hingewiesen. Diese Darstellungen haben wir durchaus ernst genommen, wir haben sie aber auch als eine Art Außendarstellung betrachtet und im Stillen gehofft, dass es so schlimm schon nicht sein wird, sondern dass es vielmehr nur an Transparenz und Einsicht in die Dinge fehlt.

Gelernt haben wir im ersten Jahr:

Es ist noch viel schlimmer!

Um es aber ganz deutlich zu sagen, damit hier kein Missverständnis entsteht: die einzelnen Mitarbeiter trifft hierfür keine Schuld.
Vielmehr gibt es mehrere „Väter“ dieser Situation: Krankenstand, Vakanzen und ständige Wechsel auf elementar wichtigen Positionen.

Eine Gemeinde mit dem Rücken zur Wand. Eine wirtschaftliche Situation, die wenig Gestaltungsmöglichkeit lässt. Kein Agieren mehr, nur noch reagieren. Kurz: ein Rathaus in einer gefühlten Schockstarre.

Für jemanden, der im normalen Job täglich mit Management, flexiblen Strukturen und straffer Organisation konfrontiert ist, wirkt der gesamte politische, als auch verwaltungstechnische Apparat äußerst träge und antiquiert.
Moderne Erkenntnisse der Arbeitswissenschaft und etablierte Methoden des Projektmanagements kommen kaum zum Einsatz.

Dies ist ein schwerer Fehler.

Es werden die Augen vor vorhersagbaren Problemen verschlossen, Risikomanagement, scheint laut Gemeindeordnung keine Pflicht, also wird es auch nicht praktiziert!
So laufen wir immer wieder in vermeidbare Überraschungen. Ausgaben, die scheinbar aus den Wolken fallen, Städtetregionsumlagen, die „plötzlich“ und „unerwartet“ höher ausfallen, als vorher gedacht.

Es ist auch nicht so, dass sich nicht auch Schuldige finden würden. Wie oft habe ich Herrn von den Driesch schon sagen hören: „Das war mein Fehler, das nehme ich auf meine Kappe.“

Das ehrt ihn auch, aber es geht nicht darum Schuldige zu finden, es geht darum endlich konsequent die Verantwortung zu tragen und dem oft vorgetragenen „Mea Culpa“ auch Taten folgen zu lassen.

Bedenken Sie, in der freien Wirtschaft müsste man bei der Summe eingestandener Fehler ohne Zweifel zurücktreten.
Hier und Heute personelle Konsequenzen zu fordern, würde es aber zu einfach machen und dem Bürgermeister und der Verwaltungsspitze die alleinige Verantwortung zuschieben.

Verantwortung hat nicht nur die Verwaltung mit dem Bürgermeister an der Spitze, Verantwortung muss auch jeder Einzelne von uns tragen.
Jedes Mitglied im Stadtrat von Herzogenrath, hat die Aufgabe seiner Aufsichtspflicht nachzukommen.

Wir wollen die Handreichung aller Fraktionen, der Verwaltung und des Bürgermeisters. Dies bedeutet, wir müssen eine echte Fehlerkultur entwickeln und vorleben.
Um es mal positiv zu formulieren: einen guten Mitarbeiter zu loben, belastet den Haushalt nicht, schafft aber Respekt und Vertrauen.

Wir sind uns sicherlich alle einig, nur GEMEINSAM werden wir die notwendigen Schritte, auch die unangenehmen, dem Bürger vermitteln können, so dass diese nicht nur verstanden, sondern auch von allen mitgetragen werden.

Der aktuelle Haushalt, das kaum realisierbare, vorgelegte Haushaltssicherungskonzept und letztendlich die Konsequenz eines Nothaushaltes zeichnen kein attraktives Bild unserer Stadt.

Die schamlose Verdopplung der Hebesätze trifft nicht nur die privaten Hausbesitzer. Gerade Mieter werden drastisch spüren, dass sich die Mietpreise in Herzogenrath durch die Umlage in den Nebenkostenabrechnungen deutlich erhöhen wird.

Wird dies zu Wegzug von Bürgern und Verkauf von Immobilien führen?

Es ist stark zu befürchten!

In letzter Konsequenz führen die hohen Hebesätze somit zu sinkenden Immobilienwerten. Was dies für die Existenz und Zukunft vieler Bürger bedeutet, möchten wir uns eigentlich nicht vorstellen.

Man ist geneigt das vorgestellte Konzept als lokale Fortsetzung der katastrophalen Griechenlandpolitik zu sehen.

Aktuell lebt Herzogenrath von seiner Substanz – UND DIE BRÖCKELT!

Nehmen wir den brandaktuellen Fall: Kohlscheider Schwimmbad: Ganz ehrlich? … Das wurde tot gespart.

Investitionen zur rechten Zeit, kontinuierliche Instandhaltungsmaßnahmen und die Bildung von Rücklagen für die Zukunft, wären eindeutig finanzierbar gewesen. Eine Schließung, wie jetzt – Fakten schaffend – hätte sich so vermeiden lassen.

Derzeit wird überlegt, das Kohlscheider Schwimmbad, durch PPP bzw. ÖPP zu finanzieren, da man sich aufgrund der aktuellen Haushaltslage nicht in der Lage sieht, dies durch Eigenfinanzierung zu realisieren.
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: CDU feiert auf Bundesebene „die Schwarze 0“, die SPD beschließt auf Landesebene die Schuldenbremse und unsere GroKo, genauer SPD und CDU, versuchen durch buchhalterische Taschenspielertricks, ein Schwimmbad an der Bremse vorbei zu bauen.

Ob dieses Vorhaben finanzierbar ist, kann aufgrund der fehlenden Jahresabschlüsse nicht mit Sicherheit gesagt werden. Auch nicht, ob die Lage nicht vielleicht sogar noch dramatischer ist, als sie sich momentan darstellt. Was man mit Sicherheit sagen kann, dass dieser Schritt eine weitreichende Entscheidung ist, die der Rat keinesfalls alleine treffen darf.

Es ist unsere Pflicht, den Bürger bei dieser für ihn essentiellen Weichenstellung, zu beteiligen.

Es ist unsere Pflicht, den Bürger umfassend und vollständig über die Chancen, aber gerade auch über die Risiken dieser Finanzierung aufzuklären.

Es ist unsere Pflicht, des gesamten Prozess und die komplette Situation transparent und für jedermann verständlich darzustellen.

Nur dann kann der Bürger wirklich selbst entscheiden, ob dieser Weg der richtige ist.

Genau das müssen wir also tun: „Den Bürger abstimmen lassen!“

Erfahrungen aus Vergangenheit und auch aus der Gegenwart zeigen, dass fast alle PPP- und ÖPP-Projekte am Ende um ein vielfaches teurer sind als geplant.

Es kommt der Verdacht auf, dass Verwaltung, Bürgermeister und Ratsmehrheit, dieses hochgradig riskante Finanzierungsmodell nur deswegen anstreben und als „Stein der Weisen“ verkaufen, weil sie nicht den Schneid haben, ehrlich und mit Übernahme der politischen Konsequenzen, dem Bürger zu sagen, dass die Stadt pleite ist und sich das Schwimmbad aktuell eigentlich gar nicht leisten kann.

In Zeiten eines schwierigen Arbeitsmarktes ist es von interessierten Bürgern nicht zu erwarten, sich für Ratsarbeit – als Besucher – freizumachen, um an den Sitzungen persönlich teilzunehmen. Zumal die Bürger nur im Vorfeld Fragen stellen dürfen. Ihre Anträge werden oft ablehnend behandelt.

Aber gerade diese wichtigen Stützen der Gesellschaft sind unbedingt mitzunehmen. Der Erfahrungshorizont seiner Bürger ist für die Zukunft von Herzogenrath unbezahlbar und wertvoll.

Wir fordern daher, zum wiederholten Male, die Öffnung des Rates und der Verwaltung in Richtung Bürger. Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, die uns heutzutage zur Verfügung stehen, den Bürger zu informieren, zu beteiligen und mitentscheiden zu lassen.

Hier kann und muss man durchaus – wie bereits gesagt – bewährtes weiter verfolgen, sollte aber auch bereit sein neue Wege zu gehen. Die Angst vor dem Geschwätz von Gestern, darf hierbei kein „Hemmschuh“ sein.

Wir haben eine Mammutaufgabe vor uns.

Es gilt den Haushalt auszugleichen und Herzogenrath aus Nothaushalt und Sicherungskonzept zu führen. Einfallslos, einfach die Einnahmesituation anzupassen, kann – im Sinne der Bürger – hier keineswegs der Königsweg sein.

Schaffen wir keine Konsolidierung, steht der Sparkommissar schon vor der Tür.

DAS GILT ES ZU VERHINDERN.

Lassen Sie uns Herr im eigenen Hause bleiben und initiativ eine Sparkommission über die Fraktionen hinweg gründen. Mit starker Beteiligung der Bürgerschaft und des dort vorhandenen Sachverstands.
Uns ist bewusst, dass unsere Gestaltungsmöglichkeiten aktuell an der Leine liegen.

Wir sind uns sicherlich einig, dass es eine schwere Aufgabe wird, auf absehbare Zeit einen genehmigungsfähigen Haushalt hinzubekommen.

Dieser Aufgabe müssen wir uns gemeinsam stellen!

Wir wünschen uns einen Rat, der im Diskurs gemeinsam Entscheidungen trifft, einen Rat des Konsens, kein „Basta-“ Rat der einfachen Mehrheiten.

Parteipolitisches Geplänkel kann sich Herzogenrath gerade aktuell nicht leisten.

Aufgrund der fehlenden Verlässlichkeit der Zahlen, können wir weder dem Haushaltsentwurf, noch dem Haushaltssicherungskonzept zustimmen.

Haushaltsrede geschrieben von: Stefan Kuklik, Thomas Kosel und Kai Baumann.

Die Presse (Aachener Nachrichten) hat die Rede sofort für ein Interview genutzt, um sich über die Hintergründe zu informieren.

 

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