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Weltfrauentag – Jedes Jahr – Ein Tag

be-him CC BY NC ND

Ein Interview zum Weltfrauentag

Der Weltfrauentag wurde vor über 100 Jahren begründet und wird alljährlich gefeiert. Was bedeutet für euch dieser Tag?

Sabine Martiny: Genau nichts mehr.

Maja Tiegs: Der Tag ist an vielen Stellen dazu verkommen, dass Parteien und Gewerkschaften Blumen an Frauen verteilen. Das ist nett, bringt aber nichts. Ich wünsche mir, dass der Tag kämpferischer, nachdrücklicher daran erinnert wo es überall noch Defizite in Sachen Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen gibt.

Im Jahr 2010 forderte Alice Schwarzer die Abschaffung des Weltfrauentags, da er „gönnerhaft“, ja sogar der „reinste Hohn“ sei. Was würdet ihr Alice Schwarzer erwidern?

Maja Tiegs
Maja Tiegs

Sabine Martiny: Da hattest du ausnahmsweise mal recht. 364 Tage im Jahr werden Frauen vergewaltigt, schlechter bezahlt, weniger ernst genommen als jeder Mann – und an einem Tag (Nr.365) denkt man daran, hat aber versäumt, an den anderen Tagen was zu ändern außer Quoten für _die_ Frauen, die es oft nicht mal brauchen. Führungskräfte!

Maja Tiegs: Mir wäre es auch lieber, wenn es selbstverständlich wäre, dass sich Menschen täglich für die Rechte der Frauen einsetzen. Aber offenbar ist es das nicht. Schade.

Anfang des letzten Jahrhunderts haben Frauen für politische Rechte engagiert kämpfen müssen, später waren es Themen wie Abtreibung, für die sie demonstrierten. Wofür sollten Frauen heute kämpfen?

Sabine Martiny: Für gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit, für Anerkennung und Bezahlung eines Vollzeit-‚Jobs‘: Managen einer Familie mit allen dazu gehörenden Arbeiten und Kindern. Für Werbung ohne Sexismus. Mir fiele sicher noch einiges ein, dies wären aber für mich wichtige Punkte.

Maja Tiegs: Das, was Sabine sagt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Kindern sollte weiter voran getrieben werden, aber wenn eine Frau ihren Lohnerwerb zugunsten von Kinderbetreuung und -erziehung aufgibt, ist weiterhin eine Schande, dass ihr dann Altersarmut und gesellschaftliche Nachteile drohen, weil diese Lebensleistung vom Staat eben nicht als ‚Arbeit‘ gewertet wird.

Ganz wichtig: Es geht bei derlei Forderungen niemals darum, die Lage von Männern zu verschlechtern, sondern die von Frauen zu verbessern. Ja, das sägt an Privilegien. Aber diese wären eben auch das einzige, was Männer aufgeben müssten. Deshalb sollten sie Frauen eigentlich in ihren Forderungen unterstützen.

Ich persönlich wende mich auch gegen zementierte Rollenbilder und die klare Vorstellung wie Mensch als Frau – oder eben auch als Mann – zu sein hat. Mich nervt das, wegen angeblich ‚unweiblicher‘ Verhaltensweisen das Frau-sein abgesprochen zu bekommen. Das ist doch absurd!

Ein Begriff wie „Gender“ trifft auch heute noch auf viel Unverständnis. Beispielsweise sind in der Presse in den vergangenen Jahren immer wieder Artikel erschienen, in denen sich die Verfasser über einen Studiengang wie die „Gender Studies“ amüsierten. Auch in der Piratenpartei bleibt der Sprachgebrauch ein hitzig diskutiertes Thema. Wie steht ihr dazu?

Sabine Martiny: Ich bin da relativ locker. Sich lustig machen ist dumm, aber ich erinnere mich an meinen Eintritt in die Piratenpartei 2011, da war das kein Thema. Laut Grundsatzprogramm sagte ich (nicht ungern) ‚Ich bin Pirat‘. In Texten habe ich es lieber ohne Sternchen, schreibe aber gern: Lehrende, Studierende, Teilnehmende, Lernende. Wenn es nicht anders geht, auch ‚ProfessorInnen‘. Der Dauerstreit und jeglicher Fanatismus ist mir aber zuwider.
Wo Sprache zu Benachteiligung führt, sollte sie berichtigt werden. Da Sprache aber lebt, wird sich – mit sanfter Unterstützung, statt mit der Brechstange – vieles mit der Zeit ändern.

Maja Tiegs: Sprache ist ein wichtiges Instrument. Sie kann Emotionen erzeugen, kann inkludieren oder eben ausschließen. Unsere Sprache ist von jeher, ebenso wie die Gesellschaft, männlich geprägt, die männliche Form, ebenso wie männliches Verhalten, der Standard.

Ich halte es für ein schlechtes Argument zu sagen, dass Sprache durch gendern oder durch das Verwenden von genderneutralen Formulierungen entstellt wird. Sprache ändert sich ständig, sie ist fluid. Warum kann sie also nicht auch gendergerechter oder genderneutraler werden? Das ist keine Entstellung, sondern eine Entwicklung.

Jährlich wird ja auch mit dem Equal Pay Day daran erinnert, dass Frauen durchschnittlich weniger Arbeitslohn erhalten als Männer in vergleichbaren Positionen. In welchen beruflichen Bereichen ist die Benachteiligung von Frauen am deutlichsten erkennbar?

Sabine Martiny: Das kann ich nicht beurteilen, ich wurde als Lehrerin bezahlt wie die Kollegen, als freie Malerin kämpft man zwar gegen eine überpräsente männliche Konkurrenz, Preise für Bilder haben aber etwas mit dem Marktwert zu tun und der ist nicht messbar oder vergleichbar. PolitikerInnen werden gleich bezahlt.

Maja Tiegs: Ich denke Gehaltsunterschiede hängen ganz oft daran, dass einerseits Frauen öfter in schlechter bezahlten Berufen arbeiten, wie beispielsweise Pflegeberufen, und andererseits es für Frauen schwieriger ist, eine Führungsposition zu erlangen, weil die ‚gläserne Decke‘ unbestreitbar da ist.

Die von der GroKo beschlossene Frauenquote ist da ein wirklich schlechtes Feigenblatt, denn sie begünstigt eine Anzahl von Frauen im sehr niedrigen zweistelligen Bereich, hat aber quasi keinerlei gesellschaftliche Relevanz.

Habt ihr manchmal den Eindruck, dass in Sachen Emanzipation nicht nur Fortschritte, sondern auch Rückschritte gemacht werden?

Maja Tiegs: Ja, das habe ich bisweilen durchaus. Ein Beispiel: Kürzlich habe ich erlebt, wie mir 15-jährige Jungs erklären wollten, als Frau gehöre ich doch an den Herd und habe keine Widerworte zu geben. Offenbar gibt es bespielsweise bei YouTube einige Kanäle, bei denen sich junge Männer extrem frauenfeindlich äußern und ihre sehr junge Zielgruppe natürlich beeinflussen. Diese Jungs nennen das ‚schwarzen Humor‘, ergo bin ich als Frau dann ‚humorlos‘, wenn ich das nicht sonderlich lustig finde. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das einschätzen soll. Es erscheint völlig absurd, wenn mir Jungs, die halb so alt sind wie ich, sowas an den Kopf werfen, aber die werden nun mal auch irgendwann zu Männern. Und das ist nur ein Teilaspekt. Der größer werdende Einfluss extrem-rechter Bewegungen ist ein weiterer, der mir auch in Punkto Emanzipation Sorgen macht.

Sabine Martiny: Ich sehe Rückschritte so deutlich, weil durch die Social Media viel mehr sicht- und hörbar wird. Was früher am Stammtisch verhallte, kann heute jeder lesen oder hören. Rechtsextreme Parteien und Gruppierungen transportieren in allen Aspekten rückwärtsgerichtete Ansichten, deutlich hörbar bei der AfD, leider aber auch in einer Partei wie der CSU oder sogar der CDU, die ein sittsames, gebärfreudiges und angepasstes Frauenbild für wünschenswert halten. Schon meine Großmutter, eine selbständige Geschäftsfrau, würde zornig werden bei soviel ewig gestrigen Anforderungen. Mir sagt zwar keiner: ‚Geh an den Herd, wo du hingehörst‘ – aber gerade in meiner Arbeit als Bildungspolitikerin denken das Männer, die starke Frauen nur schlecht ertragen.

In der Piratenpartei sind mehr Männer als Frauen aktiv. Das gilt allerdings für alle Parteien – generell scheint Politik noch immer eine Männerdomäne zu sein. Teilt ihr diesen Eindruck und was muss sich eurer Meinung nach ändern?

Sabine Martiny: Für mich ist einer der schlimmsten Auswüchse in der Politik die ‚Quotenfrau‘!
Die Quote sorgt nicht für mehr Chancengleichheit, sondern zeitigt unerfreuliche Ergebnisse. Ich erlebe es in meiner Fraktion gerade selbst und hätte es nie für möglich gehalten, wie unerfreulich es sein kann, wenn eine Frau nur wegen einer Quotenregelung etwas durch Wahl tun soll, für das sie absolut ungeeignet ist.

Das hat nichts mit mangelnder weiblicher Solidarität zu tun. Es erwartet ja auch kein vernünftiger Mensch von mir, dass ich mit Frauen wie von Storch, Julia Klöckner, Frauke Petry oder Erika Steinbach solidarisch bin. Was sich ändern muss: Wir Frauen können klugen Frauen mehr Mut machen, wir können dafür sorgen, dass die Zeit für Mütter besser zu planen ist durch bessere Kindergärten, vor allem in Betrieben. Wir können Weiterbildungen, auch in der Politik, fördern, das trifft aber wohl für Männer genauso zu.

Maja Tiegs: Gerade Familie und Politik sind für viele Frauen noch schlecht miteinander vereinbar. Aktuelles Beispiel: Sigmar Gabriel wurde in den höchsten Tönen gefeiert, weil er sich drei Tage für sein krankes Kind freigenommen hat. Familienministerin Schwesig jedoch wurde scharf kritisiert, weil sie wegen der bevorstehenden Geburt ihres Kindes nicht abkömmlich war. Bei Gabriel war es etwas besonderes, Schwesig wurde gleich als inkompetent eingestuft.

Außerdem denke ich, dass der Politikstil der Platzhirsche und der Stärke (nicht der Kompetenz) viele Frauen abschreckt. Es ist nun mal so, dass man sich als politische Frau an Angriffe auch weit unter der Gürtellinie gewöhnen muss.“

Welche Tipps gebt ihr Frauen oder Männern, die etwas bewegen wollen?

Sabine Martiny: Seid hartnäckig, manchmal sogar stur! Lernt, euch so auszudrücken, dass man euch zuhören mag. Und lernt vor allem, das Wesentliche im Blick zu haben, das heißt: Abstand halten, sich Zeit für Recherche und das nötige Sortieren zu nehmen, damit man euch neugierig und gern zuhört. Lernt, frei zu sprechen, jede abgelesene Rede wirkt unsicher, oft stockend und daher selten überzeugend. Nur wenn ihr von einer Sache felsenfest überzeugt seid, könnt ihr sie glaubhaft vermitteln. Sicher, das Wichtigste ist und bleibt der Inhalt, aber die teuersten Pralinen, eingewickelt in eine Bildzeitung, überzeugen eben nicht 🙂

Maja Tiegs: Seid unbequem. Oft wird gesagt, dass Feminist*innen so unbeliebt sind, weil sie immer nur meckern. Oder es wird ein neuer, netter oder gar ‚sexy‘ Feminismus gefordert. Mit ‚nett‘ hätten die Suffragetten beispielweise garantiert kein Wahlrecht erkämpft. Und liebe Männer: Hört Frauen zu. Ich habe schon oft erlebt, dass Männer es einfach als Anstellerei beiseite gewischt haben, wenn ich mich irgendwo unwohl gefühlt habe. Ich wünsche mir dann, dass Männer zuhören und mir glauben, wenn ich versuche zu erklären, warum das so ist.

Vielen Dank für dieses interessante Interview mit euch Beiden!

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